Der Widerstand bei der zweiten Führungsebene war erheblich zu Beginn des Workshops. „Wozu müssen wir schon wieder Führungsleitlinien erarbeiten? Das haben wir doch vor 20 Jahren schon mal gemacht!“ „Wir haben doch wahrlich andere Probleme im Tagesgeschäft – lasst uns doch darüber reden, das bringt uns viel mehr!“
Sage und schreibe einen halben Tag hat die Klärung des Workshop-Programms eingenommen. Erst zum Mittag hin waren alle bereit, sich auf das Definieren der gemeinsamen Standards einzulassen. Und doch waren sie weiterhin skeptisch, was das Ganze am Ende bringen sollte. Keine einfache Ausgangslage. Trotzdem: am Ende der Veranstaltung waren ausnahmslos alle begeistert. Und alle wollten unbedingt am Thema weiter arbeiten. Wie war das gekommen?!
Zum einen war wichtig gewesen, mit falschen Vorstellungen aufzuräumen: Nein, bei Führungsgrundsätzen geht es nicht darum festzulegen, ob man künftig autoritär oder laissez-faire führen will. Und: Nein, 20 Jahre alte Führungsleitlinien können nicht einfach aus dem Archiv geholt und per Beschluss wieder in Kraft gesetzt werden.
Zum anderen galt es, die aktuellen Probleme in dem Unternehmen nicht beiseite zu schieben, sondern, im Gegenteil, sie als perfekte Hinweise zu erkennen, wo ein kluges Regelwerk Lösungen vorantreiben kann. Dazu zwei konkrete Beispiele.
Wie in vielen mittelständisch geprägten Unternehmen verstanden sich auch in diesem Hause die Führungskräfte als „Edelsachbearbeiter“, die auf alle Fragen ihrer Mitarbeiter eine Antwort zur Hand haben mussten. Entsprechend überlastet waren sie und immer am Rand des Machbaren. Eine völlige Neu-Orientierung ist für sie deshalb ihr neuer Leitsatz, den sie sich selbst zu diesem Thema vorgegeben haben: „Die Spezialisten für’s fachliche Detail sind unsere Mitarbeiter; nicht wir Führungskräfte. Unsere Aufgabe ist es, dafür die nötigen Voraussetzungen zu schaffen.“
Und wie ebenfalls bei sehr, sehr vielen Betrieben üblich, gab es auch hier häufig den Satz zu hören, man würde ja gerne mehr führen, aber der Alltag ließe einem dafür ja nunmal keine Zeit … Also lautete das neue Paradigma: „Als Führungskräfte sind wir selbst verantwortlich, uns so viel Zeit für die Führung unserer Mitarbeiter zu nehmen, wie diese benötigen, damit wir sie und das Unternehmen in seiner Leistungsfähigkeit weiter entwickeln.“
Alle haben am Ende der zwei Tage erkannt, wie substanziell wichtig es ist, sich solche Sätze durch eine intensive, gemeinsame Diskussionen zu erarbeiten. Durch die Diskussion kommt es zu Meinungsbildung, zu neuen Blickwinkeln und Einsichten und dann im Laufe der Zeit kristallisiert sich eine von allen getragene Überzeugung heraus.
So selbstverständlich und logisch sich solche Leitsätze im Ergebnis nämlich anhören, so wenig sind sie es! Der größte Fehler wäre deshalb, solche Sätze einfach aus dem Vorratskoffer des Beraters hervorzuziehen und als „Ideallösung“ anzupreisen. Alle Führungskräfte würden freundlich nicken, und später doch wieder genau das gleiche Führungsverhalten zeigen, wie bisher. Weil jegliche Überzeugung für diese Leitsätze fehlen würde.
Alle Führungskräfte sehen natürlich, dass ein gutes Stück Weg vor ihnen liegt, bis diese Leitsätze auch tatsächlich jeden Tag gelebt werden. Ein bis drei Jahre wird das dauern. Aber die entscheidende Grundlage dafür, die ist geschafft. Das Neu-Denken hat begonnen. Nur auf dieser Basis kann Neu-Handeln entstehen.