Was, wenn…

Sexueller Übergriff am Arbeitsplatz verlangt sofortiges Handeln der Führungskraft. Doch was sie tun, wenn`s am nächsten Tag einen Toten gibt?

Vor einigen Jahren war der Vorstand von einer Mitarbeiterin angesprochen worden, dass ihr Gruppenleiter sexuell übergriffig geworden sei.

Er lud die Mitarbeiterin, den Gruppenleiter und einen Betriebsrat zum Gespräch. Für ihn, noch recht jung und wenig erfahren in der Position, eine ziemliche Herausforderung.

Am Morgen nach dem Gespräch klingelte früh um 6 Uhr das Handy des Vorstandes: Der Gruppenleiter war tot im Wald aufgefunden worden.

Schockstarre.

Erschrecken, Zweifel, Vorwürfe, Selbstvorwürfe, innere Rechtfertigungen, neue Zweifel.

Was hatte er, der Vorstand, damit zu tun? Traf ihn eine (Mit-) Verantwortung am Tod eines seiner Leute?

Weil der Gruppenleiter Jäger war und sein Tod wie ein Jagdunfall aussah, schloss die Polizei nach wenigen Tagen die Akte.

Bei meinem Gesprächspartner dauerte es länger, bis er das Erlebte für sich „zu den Akten legen“ konnte.

Für seine erste Verarbeitung war es hilfreich, dass sich in den folgenden Tagen mehrere Frauen meldeten, die Ähnliches zum Gruppenleiter zu berichten hatten. Der Übergriff hatte also System gehabt.

Letztlich waren es aber drei Dinge, die ihn voranbrachten, den Suizid des Gruppenleiters auch persönlich zu verarbeiten.

1
Die Frage: Was wäre passiert, wenn ich das Gespräch nicht geführt hätte? Und seine Antwort darauf:  Es hätten noch mehr Mitarbeiterinnen unter den Übergriffen zu leiden gehabt. Genau das hatte er verhindert.

2
Die Frage: Wofür bin ich verantwortlich? Und seine Antwort darauf: Nicht dafür, ob sich ein Mensch das Leben nehmen möchte oder nicht. Das ist alleine seine Entscheidung.

3
Eine mentale Technik. Er wollte sich im inneren Kopfkino nicht länger in die erste Reihe setzen und denselben Katastrophenfilm aus nächster Nähe in Endlosschleife ansehen müssen. Stattdessen nahm er im Kopfkino ganz, ganz weit hinten Platz. So weit hinten, dass die inneren Bilder nur noch winzig klein waren, an Macht verloren und in der Folge auch die emotionale Belastung wieder auf nahe Null sinken durfte.

Mit den Punkten 1 und 2 befriedete er den Neokortex, das logische Denken, in seinem Gehirn. Punkt 3 wirkte direkt auf sein limbisches System, ließ das Alarmzentrum wieder zur Ruhe kommen. Beides zusammen entfaltet die größte Wirkung.

Wie verarbeitet ihr solch heftige Erfahrungen?

INTERESSE
AN EINEM
EINZEL
COACHING

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